Samstag, 23. Oktober 2010

noch ein paar Infos zu Antony

Der wohl unwahrscheinlichste Star der Popwelt - Antony Hegarty über sein Leben und seine Musik


Er ist wie ein Wesen aus einer anderen Welt, das uns mit seinem Gesang im Innersten berührt. Der Künstler Antony Hegarty zählt mit seiner ausdrucksstarken Falsettstimme zu den innovativsten Musikern dieses Jahrtausends.

2000 veröffentlichte der gebürtige Brite sein erstes Album mit der Formation Antony And The Johnsons. Seitdem beweist er sich immer wieder aufs Neue als Meister der Selbstinszenierung. Dabei gleicht er einem androgyn-surrealistischen Chamäleon. "Mit Anfang 20 habe ich begonnen, Butoh zu tanzen", erinnert sich Antony Hegarty. "Dieser besondere japanische Tanz hat mich sehr inspiriert und in meinen visuellen Darstellungsformen geprägt. Indem ich gelernt habe, einen Stein, einen Berg oder ein Tier zu verkörpern, habe ich mir eine eigene kreative Sprache angeeignet. Und die habe ich nicht nur im Hinblick auf meine Performances, sondern auch bei meinen bildnerischen Arbeiten immer weiter erforscht."

Auseinandersetzung mit der eigenen Identität
Anfang der 1990er gründete Antony Hegarty in Manhattan das Performance-Kollektiv Blacklips und inszenierte Theaterstücke abseits des Mainstream. Antony And The Johnsons entstand eher beiläufig im Rahmen eines Kunstprojektes. Musik ist auch heute nur ein Aspekt des künstlerischen Lebens von Antony Hegarty: Zum mittlerweile vierten Album mit dem Titel "Swanlights" erscheint ein gleichnamiger Kunstband. "Die Entstehung dieses Buches war eher ein Zufall", so Hegarty. "Ich habe zwar schon lange gezeichnet und Collagen gemacht, aber ausschließlich um mir selbst besonders interessante Themen zu verdeutlichen. Ich habe mir damit einen Platz in meinem Inneren geschaffen, an dem ich darüber meditieren konnte, welche Ideen ich in welcher Form weiter voranbringen möchte."

Eines dieser zentralen Themen ist von Beginn an die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und den klassischen Geschlechterrollen von Mann und Frau. Diese tradierten Konventionen möchte Antony Hegarty als weibliches Wesen in einem männlichen Körper überwinden. Ein langer, schwieriger und schmerzhafter Prozess, den er seit frühester Jugend durchläuft. Und die Suche nach dem wahren Ich sowie nach Geborgenheit in einer Gemeinschaft ist noch immer ein ständiger Begleiter: "Ich habe festgestellt, dass meine künstlerische Arbeit immer existenzieller wird und um die grundlegenden Fragen kreist, die uns alle beschäftigen: Wer bin ich? Was bin ich? Wo bin ich? Warum bin ich hier und welche Verantwortung trage ich für diesen Ort, an dem wir leben?", so der Sänger. "Das führt mich immer wieder zurück auf meine Beziehung zur sichtbaren Welt und zur Natur, denn ich sehe mich als einen Bestandteil davon."

Weiblich geprägte Glaubenssysteme
Eine Reise zum nördlichen Polarkreis war für Antony Hegarty eine Art Erweckungserlebnis: Er war fasziniert von der Weite und majestätischen Schönheit dieses gefährdeten Lebensraums. Und fand dort spirituelle Erleuchtung: "Ich wurde katholisch erzogen, also in einem dieser religiösen Systeme mit einem männlichen Gott", erinnert sich Antony Hegarty. "Der thront im Himmel und verheißt als Belohnung für ein entbehrungsreiches Dasein auf der Erde ein berauschendes ewiges Leben im Jenseits. Diese Vorstellung vom Paradies außerhalb unserer Welt existiert in den meisten Religionen, auf eine gewisse Weise sogar im Buddhismus. Das sind alles Religionen, die von männlichem Denken bestimmt sind. Ich selbst beziehe mich aber eher auf weiblich geprägte Glaubenssysteme, wie sie bei indigenen Kulturen verbreitet sind." Nur New York mit seinen vielfältigen Subkulturen bietet Antony Hegarty eine Plattform, sich zu entfalten. Hier förderten ihn Musikerkollegen wie Lou Reed, Laurie Anderson oder Bjørk.

Bjørk ist für Hegarty eine Seelenverwandte, wenn es darum geht, Utopien für die Gesellschaft zu entwerfen: eine Gesellschaft, die das Patriarchat überwindet. "Niemand hat so etwas bisher als eine Option für unsere Gesellschaft betrachtet", so Hegarty. "Wir hatten bis jetzt noch keinen ernsthaften Dialog darüber, tatsächlich gemeinsam Entscheidungen zu treffen, was wohl eine sinnvolle Lösung für Vieles wäre. Dazu braucht es einen grundlegend anderen Ansatz in der Art, wie wir miteinander und mit unserer Umwelt umgehen. In vielerlei Hinsicht bin ich wohl ein radikaler Befürworter für einen echten Paradigmenwechsel in unserem kollektiven Bewusstsein hin zu mehr weiblichem Denken. Auch weil ich glaube, dass dies der einzige Weg ist, der uns noch retten kann."

Auch wenn sich von jeglichem politischen Impetus freisprechen möchte: Der sanfte Hüne ist ein revolutionärer Geist. Und seine zurückhaltende Selbstinszenierung ist ungleich komplexer und substanzieller als alles, was die schrille Kunstfigur Lady Gaga zu bieten hat. Hoffentlich lädt er uns auch weiterhin ein, sein betörend schönes wie bizarres Universum zu erforschen. Wir können dort viel über uns selbst erfahren.

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