Jóhann Jóhannsson also mal wieder.
Der Mensch ist einfach großartig.
Isländer natürlich.
Auch wenn ich 1000 Schubladen durchgucke, finde ich wohl keine, in die er hineinpasst.
Sein Plattenlabel nennt es „Ambient“, in Rezensionen fallen üblicherweise die Begriffe „Sound-Tüftler“, „Klassik“ und „Elektro-Experimentierer“, die miteinander verknüpft werden.
Die Elektro-Keule würde ich allerdings etwas außen vor lassen - immerhin wurde dieses aktuelle Album, „Fordlandia“, wie schon der thematische Vorgänger IBM 1401, A User’s Manual vom City Of Prague Philharmonic Orchestra And Chorus unter Leitung von Miriam Nemcova in Prag aufgenommen
– einer Truppe, die sich exklusiv für Schallplattenaufnahmen aus der Crème der besten Musiker verschiedener Tschechischer Orchester rekrutiert und der man ihre 20-jährige Tonstudioerfahrung anhört. (Victoriah Szirmai)
Wer also unbedingt eine Schublade braucht, kann eigentlich ruhig das Etikett “Klassik” aufkleben - wenn auch der ein oder andere fremde Ton dazwischen sein mag.
Jóhannsson benamst sein opulent-fragiles Meisterwerk erneut nach einer sich im Abstieg befindlichen amerikanischen Technik-Ikone.
Fordlandia ist dabei ein zu mannigfachen Konnotationen einladendes Wort:
In den 1920er Jahren hatte der Auto-Konzern Ford ein 10.000 km² großes Stück Regenwald in Brasilien gekauft.
Das ist in etwa viermal Luxemburg oder einmal das Kosovo.
Ohne die geringste Kenntnis von der dortigen Landwirtschaft, wollten die Ford-Großindustriellen dort eine gigantische Gummiplantage, inklusive einer Stadt nach amerikanischem Vorbild errichten. 8000 einheimische Arbeiter hatten ab sofort nach dem Ideal-Vorbild des amerikanischen Vorstadtbürgers zu funktionieren: Fastfood und american way of life.
Der erste Massenaufstand wurde noch vom brasilianischen Militär niedergeknüppelt, aber das Projekt wurde ein derartiges Desaster, daß sich Ford schließlich zurück zog.
Nämlich zu dem Zeitpunkt, als Naturkautschuk nicht mehr für die Reifenproduktion gebraucht wurde, da petrolchemische Alternativen entwickelt worden waren.
Während Fordlandia also seit 1945 kontinuierlich verkommt und verrottet und lediglich von ein paar Hundert Menschen bevölkert wird, schickt sich im Dezember 2008 der einst Gott-große Gründer in Michigan an, es seinem Dschungel-Humunculus gleich zu tun und bettelt in Washington um Almosen.
Der Isländer lockt uns in die ganz große Assoziations-Welt.
Was fasziniert ihn an diesen Titeln, wie inspiriert ihn das zu dieser so melodiösen tieftraurig-betörendschönen Fabelmusik?
Das Jóhannsson-Booklet versteckt unter der CD eine im Sumpf steckende Tin-Lizzy; offensichtlich aufgegeben im Dschungel - Ankor Wat läßt grüßen.
(Ja, verdammt! Man muß die CD schon kaufen und soll nicht immer in mieser Tonqualität billigheimernd downloaden)
Einen weiteren Hinweis finden wir in einigen Zeilen der viktorianischen Dichterin Elizabeth Barrett Browning (1806-1861), deren sozialphobisches, hypersensibles Wesen idealtypisch zu den epischen Klangdramen Fordlandias passt.
Bis zur Abschaffung der Sklaverei hatte sie auf einer Plantage auf Jamaica gelebt und den von Weißen malträtierten Dschungel selbst erlebt:
"And that dismal cry rose slowly and sank slowly through the air full of spirits melancholy and eternity's despair and they heard the words it said; Pan is dead - Great Pan is dead."
Sakral, distanziert, dennoch warm und empathisch wirken Jóhannssons Kompositionen.
Ich kann mich dem nicht entziehen - als ob am Ende doch die Kunst über die Technik obsiegte.
Kritiker überschlagen sich mit Lob und finden wohlige Wort-Wolken:
Jóhann Jóhannsson's spellbinding new album draws these tantalising threads together, weaving a musical tapestry of hypnotic richness and surprising emotional depth.
Na ja, klingt gut, sagt aber nicht viel aus, finde ich.
Muß man anhören - am besten LAUT und aufmerksam.
Ist kein U-Musik-Klangteppich für nebenbei.
Wer doch frevelhafterweise mal am PC rein hören will, kann eine auf 7.40 Minuten gekürzte Version des Titelsongs Fordlandia auf JJs Myspace-Seite anhören.
Nachtrag 17.03.2013:
Es gibt inzwischen ein YouTube-Video:
Aus "IBM 1401, A User’s Manual" von 2006 gibt es ein Video:
IBM 1401 Processing unit
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